Vom wilhelminischen Kaiserreich bis in die späte alte Bundesrepublik warb ein Netzwerk von Bewegungen für eine Reform des Lebens, eine Lebensreform. Die Wortführer dieser Gruppen wollten möglichst viele Menschen dazu bringen, anders, vitaler, ökologischer zu leben als bisher. Im Zentrum der Lebensreformbewegung, wie sich das Netzwerk bald nannte, standen um die Jahrhundertwende die Vegetarier- und Naturheilvereine. Von den zwanziger Jahren an wurden die Genossenschaften und Verbände der Reformhäuser und Reformwarenhersteller wichtiger. Die Reformbranche bot jene Produkte an, mit denen sich ein gesünderes Leben führen ließ, vor allem Nahrung und Körperpflegemittel. Kundenzeitschriften vermittelten das dazugehörige Wissen. Im späten 20. Jahrhundert wuchs der Markt für Gesundheitsprodukte und Gesundheitsliteratur ins Unermeßliche. Die Lebensreform wurde zu einem Anbieter von vielen und verblaßte. Vom Aufkommen der Bewegung bis zu ihrer allmählichen Auflösung waren die Idee und die Vermarktung gesünderen Lebens von der deutschen Gesellschaft beeinflußt, von den jeweiligen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnissen. Umgekehrt veränderten aber auch die Lebensreformer die Gesellschaft. Die Untersuchung beschreibt und deutet diese Wechselbeziehung. |